Stress in der Familie - Wodurch er entsteht und wie man ihn vermeiden kann

Text: H. J. (Pädagogin & Erziehungswissenschaftlerin) / Letzte Aktualisierung: 15.09.2022

Stress in der Familie wegen Streitigkeiten
Stress in der Familie kann viele Ursachen haben - Symbolbild: © JenkoAtaman - stock.adobe. com

In Meyers Kleinem Konversationslexikon aus dem Jahr 1899 kommt das Wort Stress noch nicht vor. Heißt das, zu dieser Zeit lebten die Menschen komplett stressfrei? Sicher nicht, denn körperliche und geistige Reaktionen auf innere und äußere Reize hat es zu jeder Zeit gegeben. Der Begriff Stress für diesen Zustand wurde jedoch erstmalig im Jahr 1914 durch den US-amerikanischen Psychologen Walter Cannon benutzt. Die Autoren des Konversationslexikons haben ihn also noch nicht gekannt. Wodurch aber entsteht Stress in der Familie und wie kann man ihn vermeiden? Diesen Fragen gehe ich in diesem Ratgeber nach.

Was ist Stress und wodurch entsteht er?

Seit Cannon haben sich unzählige Psychologen, Physiologen, Wissenschaftler und Ärzte mit dem Thema Stress beschäftigt und es gibt inzwischen verschiedene Stresstheorien und Stressmodelle. Im Allgemeinen wird Stress als ein körperlicher Zustand in Folge von Belastung durch äußere oder innere Faktoren definiert, welche auch Stressoren oder Stressfaktoren genannt werden. Dabei kann es sich zum Beispiel um folgende handeln:

  • Probleme innerhalb der Familie, zum Beispiel Tod eines nahen Angehörigen, Scheidung oder Trennung der Eltern, Vergrößerung der Familie durch Geburten, Adoptionen oder Gründung einer Patchworkfamilie, häufige Streitigkeiten
  • Körperliche Probleme, zum Beispiel durch Verletzungen, Krankheiten, Entzündungen im Körper, Schmerzen, Hitze oder Kälte, Hunger oder Durst
  • Probleme im Beruf oder in der Schule, wie Ärger im Beruf oder Verlust des Arbeitsplatzes, Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz, mangelnde schulische Leistungen der Kinder, Wechsel der Schule oder des Arbeitsplatzes
  • Geldprobleme durch verringertes Einkommen, höhere Ausgaben oder Aufnahme von Krediten
  • Angst vor Wohnungsverlust, Umzug in eine fremde Umgebung
  • nicht erfüllte Erwartungen
  • Probleme durch Streitigkeiten mit Nachbarn
  • Lärm durch laute Musik oder Streitereien der Nachbarn, durch Baustellen, durch Straßen-, Schienen- und Flugverkehr, durch Gewerbebetriebe in der Nähe
  • giftige Substanzen in Bodenbelägen, Spielzeugen und anderen Produkten, wie zum Beispiel Weichmacher
  • übermäßiger Konsum von Drogen, Alkohol oder anderen Genussmitteln und Suchtstoffen
  • Urlaub

Positiver und negativer Stress

Stress kann sowohl positiv als auch negativ sein. Durch positiven Stress erhöhen sich die Leistungsfähigkeit und die Aufmerksamkeit von Menschen. Er kann die Kreativität fördern und für bessere Arbeitsergebnisse sorgen. In der Regel tritt positiver Stress bei hoher Motivation zur Bewältigung von Problemen und der Lösung von Aufgaben auf. Positiver Stress kann für die körperliche und mentale Gesundheit förderlich sein. Beispiele hierfür sind bestandene Prüfungen oder der erfolgreiche Abschluss kniffliger Arbeitsaufgaben, wodurch meistens ein Glücksgefühl hervorgerufen wird. Auch Sport kann positiven Stress hervorrufen.

Der negative Stress hingegen ist dadurch gekennzeichnet, dass er dauerhaft auftritt und für den Betroffenen keine Besserung des Zustands in Sicht ist, weil sie die entsprechenden Situationen nicht bewältigen können. Beispiele hierfür sind Überforderung durch die Arbeit, Mobbing oder ständige Streitereien innerhalb der Familie, mit Kollegen oder mit Nachbarn. Negativer Stress kann zu gravierenden gesundheitlichen Problemen führen. Magengeschwüre, Bluthochdruck bis zum Herzinfarkt, Selbstmordgedanken und sogar Rückenprobleme können die Folge sein.

Ursachen für Stress in der Familie

Neben den oben genannten Stressfaktoren gibt es vor allem innerhalb einer Familie Situationen, die Stress hervorrufen. Die Ursache kann beispielsweise eine Überforderung durch zu viele Aufgaben sein, die im Haushalt neben der Berufstätigkeit zu bewältigen sind. Auch Erwartungen an Partner und Kinder, die nicht nach Wunsch erfüllt werden, können genauso wie dauernde Streitigkeiten zu einem Stressempfinden führen. Weitere Ursachen für Stress in der Familie sind unerwartete Störungen und Unterbrechungen bei der Erledigung von Aufgaben, Zeitmangel, private Sorgen, überstiegene Anforderungen an sich selbst sowie Krankheiten und Erschöpfung.

Wie äußert sich Stress gesundheitlich?

Wie ich weiter oben bereits erwähnte, kann insbesondere negativer Stress gesundheitliche Beeinträchtigungen auslösen. Stresssymptome sind unter anderem.

  • Reizbarkeit, Nervosität oder innere Unruhe
  • Angstgefühle
  • Herzrasen oder Herzklopfen
  • Probleme beim Einschlafen oder Durchschlafen
  • Schwindelgefühle oder Schweißausbrüche
  • Kopfschmerzen
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Essstörungen
  • Gelenkschmerzen und Verspannungen der Muskulatur
  • Hörsturz oder Tinnitus
  • Hautprobleme oder Haarausfall
Bei kleinen Kindern kann Stress innerhalb der Familie auch zum Bettnässen, zu Angst im Dunkeln und Alpträumen, zu Angst vor Tieren sowie zu Sprachstörungen wie Stammeln oder Stottern führen.

Stress in der Familie vermeiden - Diese Tipps können helfen

Auch wenn es paradox klingt, Stress verursacht Stress. Wer an bestimmte Tätigkeiten gestresst herangeht, kann diese oft nicht zur eigenen Zufriedenheit oder zur Zufriedenstellung anderer erledigen. Die Folge: Der Stress multipliziert sich. Um ihn und damit dauerhafte körperliche oder geistige Probleme zu vermeiden, ist es zunächst wichtig, die Stressfaktoren zu erkennen und zu verringern. Dazu muss man sich ehrlich die Frage beantworten, unter welchen Situationen man unter Druck gerät und welche man eher als Herausforderung begreift. Alle Menschen sind diesbezüglich unterschiedlich. Dazu kommt die wechselnde Tagesform, die Situationen an manchen Tagen mehr stressig erscheinen lässt als an anderen. Eine allgemeine Bewältigungsstrategie kann es daher kaum geben. Trotzdem lassen sich einige Stresssituationen durch bestimmte Verhaltensregeln vermeiden.

Stress in der Familie vermeiden
Stress in der Familie vermeiden und sich gemeinsam eine Auszeit nehmen - Symbolbild: © Robert Kneschke - stock.adobe. com

Stress in der Familie - Was tun?

  • Stressfaktoren erkennen und bestenfalls beseitigen, zum Beispiel durch Beobachten des Alltags und Notieren von Situationen, in denen es zu Stress kommt
  • Selbstorganisation verbessern, zum Beispiel durch das Erstellen einen Tagesplans, der genügend Zeit für Unvorhergesehenes beinhaltet (Lesen Sie auch: So kann man Freizeitstress vermeiden)
  • mehr Zeit für bestimmte Tätigkeiten einplanen als bisher, beispielsweise eine halbe Stunde früher aufstehen, wenn die Zeit morgens regelmäßig zu knapp wird oder einige Dinge bereits am Vorabend erledigen
  • die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie überdenken und Aufgaben eventuell neu verteilen (Hier können To Do Listen für Familien hilfreich sein.
  • eigene Erwartungen an sich selbst und andere überprüfen
  • Mobbing am Arbeitsplatz oder in der Schule durch Konfrontation oder Hilfe von anderen beenden oder, falls das nicht möglich ist, die Schule oder den Arbeitsplatz wechseln
  • Überforderung am Arbeitsplatz durch Gespräche mit Vorgesetzten oder Kollegen vermeiden beziehungsweise sich überlegen, ob eine andere Tätigkeit nicht vielleicht besser wäre
  • Lärm lässt sich im Alltag zwar nicht immer vermeiden, aber zum Beispiel durch geräuschmindernde Kopfhörer verringern; Gespräche mit den Nachbarn können bei Lärm durch Musik oder laute Gespräche ebenfalls nützen, denn oftmals merken sie selbst gar nicht, wie laut Geräusche aus ihrer Wohnung dringen (Mehr zum Thema Lärmbelästigung durch Nachbarn)
  • ärztliche Beratung suchen, wenn bereits alltägliche Situationen zu Stress führen, denn es können Erkrankungen dahinterstecken

Was bei Stress nicht hilft

  • Medikamente, denn diese wirken oft nur kurzfristig und können bei Dauereinnahme ein weiterer Stressor sein
  • Alkohol und Drogen, die ebenfalls nur zeitweise Beruhigung versprechen, aber neue Probleme mit sich bringen können

Der Umgang mit Stress kann erlernt werden

Im Alltagsleben lässt sich Stress nicht vollkommen vermeiden. Immer wieder wird es zu Situationen kommen, die Stresssymptome hervorrufen. Es lassen sich aber ein paar Verhaltensregeln erlernen, die den Umgang mit Stresssituationen erleichtern. Ein junge Mutter erzählte mir einmal, dass sie für kurze Zeit den Raum verlässt, wenn sie sich durch das Verhalten ihrer Kinder gestresst fühlt. Das gibt ihr Zeit, sich zu sammeln und den Kindern ruhig gegenüberzutreten.

Weitere Möglichkeiten, um Stress einfacher ertragen zu können:

  • regelmäßig Zeit für Muße einplanen und sich bewusst entspannen
  • ein Gleichgewicht zwischen Anspannung durch Familie und Beruf sowie Entspannung schaffen
  • ausreichend schlafen
  • stressresistent werden durch sportliche Betätigung oder Entspannungsmethoden wie Yoga, Meditation, autogenem Training oder progressiver Muskelentspannung nach Jacobson
  • Bewegung an frischer Luft
  • gesunde Ernährung mit vitamin- und ballastreicher Kost sowie ausreichend trinken
  • Eltern brauchen mal eine Pause

Eine kurze Zusammenfassung

Stress in der Familie wird durch verschiedene Faktoren hervorgerufen. Häufig stecken Zeitmangel, unzulängliche Planung des Alltags, eine ungünstige Aufgabenverteilung und mangelhafte Kommunikation dahinter. Gänzlich wird sich Stress sicher nicht vermeiden lassen. Durch eine Änderung der Verhaltensmuster, eine durchdachte Tagesplanung und Freiräume für jedes Familienmitglied, ist aber zumindest eine Reduzierung der Stressfaktoren möglich.

Quellen und weiterführende Informationen:

Familienleben

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