Meister Nadelöhr aus dem DDR Kinderfernsehen

Märchenbrunnen in Berlin Friedrichshain
Blick auf den östlichen (hinteren) Eingang des Märchenbrunnens an der Westspitze des Berliner Friedrichshaines (siehe unten) - Foto: © -wn-

Meister Nadelöhr ist eine beliebte Figur aus dem DDR Kinderfernsehen. Der Schauspieler Eckart Friedrichson spielte die Rolle von 1955 bis 1975. In der Sendung wurden Märchen für Kinder erzählt.
Hier nun ein charmanter und interessanter Rückblick:

Der Meister Nadelöhr: Und alle, alle Kinder freuten sich

Eine Zumutung: Ein Kleinkind soll eine Frage beantworten, die es nicht versteht. Ein gutherziges, jedoch angstauslösend näher kommendes Tantengesicht fragt in das Tragenest eines Kinderwagens hinein: Na, wo issie denn, die süße Kleine? Das Kind im Wagen bleibt die Antwort schuldig, ist es doch noch nicht in der Lage zu erkunden, wo es ist. Vielmehr geht es ihm um diese Dinge: Es will satt sein, trocken sein und den Beruhigungssauger im Mund haben. Die ins Leere gehende Anfrage kann beim Kind bestenfalls eine mit ungestümen Gestikulieren verbundene Freude auslösen - oder aber auch eine von Notschreien begleitete Angst. Dieses zwiespältige Verhalten sei keineswegs verwunderlich, meint die polnische Psychologin und Schriftstellerin Olga Tokarczuk (geb. 1962). Ein - so oder so - reagierendes Kleinkind sei doch überhaupt erst auf dem Weg, ein Mensch zu werden. In ihrem Buch "Unrast" schreibt die Autorin: "...das Kind ist (noch) kein Mensch. Es wird dann ein Mensch, wenn es sich aus den Armen windet und sagt: Nein." Mit der durchaus lieb gemeinten Tantenfrage hat es aber eine Bewandtnis. Man ist erinnert an den Song des eifernden DDR-Jugendfunktionärs Hartmut König (geb. 1947) mit dem hinterlistigen Ansinnen "Sag mir, wo du stehst". Als das herausfordernde Lied entstand, ahnten die wenigsten, dass es einmal zum Credo eines jeden auf Mitmenschen angesetzten Spitzels, Spähers und Spanners der Stasi werden würde. Während die Tante auf einer Antwort der Süßen nicht besteht, wird in Hartmut Königs Politsong der krankhafte Kontrollanspruch des Staates formuliert: "Wir haben ein Recht darauf, dich zu erkennen."

Ist die Süße nun den Windeln entwachsen und besucht den Kindergarten und danach die Schule, lernt sie erste wichtige Lebensmaximen kennen und kann auch zunehmend entscheiden, was gut und was böse ist, und was sie will und was sie nicht will - die launenreiche Pubertät mit eingeschlossen. Spielerisch wird die Fähigkeit zu immer mehr Welterkenntnis auch bei der Lektüre oder beim Anhören der Haus- und anderen Märchen erworben.

Über ein erkleckliches Angebot solcher Märchen verfügten die Medien in der DDR. Allein das Fernsehen hielt viele Sendungen bereit, die sogar heute noch gekauft werden. Unter den seriellen Darstellern des Kinderfernsehens figurierte - neben dem Sandmännchen (siehe unten) - ganz vorn der beliebte, nein der geliebte Schneidermeister Nadelöhr. Sein Erkennungslied:

"Ich komme aus dem Märchenland,
schnibbel-die-schnabbel die Scher,
bin allen Kindern wohlbekannt und reiste weit umher.
Die schönsten Märchen kenne ich,
und alle, alle Kinder freuen sich auf schnibbel-die-schnabbel die Scher,
den Meister Nadelöhr."

Meister Nadelöhr bringt den Schneiderberuf zu Ehren

Das Lied erklang in 21 Jahren an die tausendmal. Den kinderfreundlichen Schneider spielte der im Alter von 46 Jahren plötzlich an einem Herzinfarkt verstorbene zuckerkranke Schauspieler Eckart Friedrichson (1930-1976). Auf dem Friedhof in Berlin-Karow befindet sich sein Reihengrab mit einem Naturstein, auf dem die Schriftzeichen schon zu verblassen beginnen. Anders als z.B. auf dem Grab der Entertainerin Helga Hahnemann (1937-1991) auf dem Friedhof Pankow VII in Berlin-Wilhelmsruh verstellen auf Eckart Friedrichsons letzter Ruhestätte keine Hennen, Hasen und Hähne den Blick aufs Eigentliche. Das von Fans zum Glück nicht mit Schneiderutensilien belegte und auch insofern unauffällig bleibende Grab unterdrückt in diesem "Normalzustand" keineswegs die Erinnerung an eine Figur, die mit sanfter Empathie den Verstand und die Seelen der Kinder zu erreichen wusste. Mit seiner Figur gelangte die teils übel beleumdete Zunft der Schneider wieder zu Ehren.

Man denke nur an den Schneider Böckel aus Wilhelm Buschs (1832-1908) Tatort-Geschichte "Trauriges Resultat einer vernachlässigten Erziehung". Böckel ermordet das Fritzchen, weil der Junge ihm ständig "Meck, meck, meck!" hinterher ruft. Und so begeht der Schneider die ruchlose Tat:

Grab von Meister Nadelöhr
Das Urnengrab des 1976 verstorbenen Schauspielers Eckhart Friedrichson, der als Meister Nadelöhr Popularität erlangte - Foto: © -wn-
"Unter Vorwand eines Kuchens
Lockt er Fritzchen in sein Haus,
Und mit einer großen Schere
Bläst er ihm das Leben aus."


Böckel endet bekanntlich am Galgen. Die Schneiderzunft erlebte später eine Rufaufbesserung wie sie etwa der Trunkenbold und Zotenreißer Hanswurst durchlief, der sich zum kinderfreundlichen Kasperl wandelte. Nachdem man am 23. November 1955 im Deutschen Fernsehfunk den unbescholtenen Schneidermeister Nadelöhr aus der Taufe hob, galt es, ihn selbst vor dem Image eines Kraftprotzes zu befreien. Immerhin wird er im Märchen als ein Bursche geschildert, der mit einer irritierenden Losung auf dem Bauch durch die Straßen läuft. Im Dezember 1962 versuchte die "Berliner Zeitung", die Schneiderehre vollends herzustellen. Das Blatt schrieb, es handele sich beim Protagonisten des Märchens um ein schuldloses "Tapferes Schneiderlein - wider Willen".

In Nadelöhrs Schneiderstube eröffnete sich eine kunterbunte Welt, in der oft Handpuppen frech, flapsig und flegelig miteinander umgingen, letztendlich aber die Wortstreite kurz vor Sendeschluss beendeten und liebenswerte Figuren blieben. Popularität genossen der rüpelige, kumpelhafte und smarte Herr Fuchs und Frau Elster, die mit einem gouvernantenhaften Ton daherkam und immer alles besser wusste. Dieses Milieu voll Einklang und vergnüglichen Scheinkonflikten sollte eine kindgemäße Einführung in das vorgeblich harmonische Leben im Staatssozialismus sein, das auf eine freiwillige und lustvolle Unterordnung unter die fremdbestimmten Belange der Gesellschaft hinauslief. Dazu gab es ernüchternde Ansagen. Der Chefkommentator des DDR-Fernsehens, der ewig verärgerte Karl-Eduard von Schnitzler (1918-2001) ließ keinen Kindertag (1. Juni) verstreichen, an dem er nicht auf das durchorganisierte ostdeutsche Erziehungswesens hinwies. Im ungeliebten, interessanterweise aber von vielen gesehenen "Schwarzen Kanal" erklärte er am 23. November 1970 mit dräuendem Unterton, dass "bei uns die allseitige humanistische Bildung in Krippe und Kindergarten anfängt und mit Schule und Universität noch längst nicht aufhört."

Tinko, Pan Tau, Pippi Langstrumpf und Tom Sawyer

Neben Meister Nadelöhr - nicht zu vergessen: Pittiplatsch, der Liebe - gab es weitere Gestalten, die bei Kindern Eindruck machten. Bereits in den 1950er Jahren erlangte das Nachkriegskind Tinko aus dem gleichnamigen und verfilmten Roman von Erwin Strittmatter (1912-1994) unter jungen Lesern viel Aufmerksamkeit. Tinko lebt in einem brandenburgischen Dorf bei den Großeltern und lernt erst nach Jahren seinen aus der Gefangenschaft zurückkehrenden Vater kennen. Erwin Strittmatter, der in seinen oft poetischen Romanen noch zahlreiche andere Kindergestalten auftreten lässt, bekennt in seinem Tagebuch (21. Juni 1992) überraschend selbstkritisch "meine Unfähigkeit, mit (meinen realen) Kindern umzugehen". Im Roman "Wundertäter III" gibt er zu, dass die literarischen Kindergestalten, "die ich durch meine Romane laufen ließ ... stets wichtiger waren als die Kinder, die mich bei der "Anfertigung" dieser "literarischen Kinder" störten."

Populär war auch die Fernsehserie Pan Tau, der - wie Wikipedia formuliert - ein "stets freundlich lächelnder, sehr eleganter, gutmütiger Herr im Stresemann-Anzug mit einer Melone, einem Regenschirm und einer weißen Nelke im Knopfloch (war) ... der den alten Kindertraum eines unsichtbaren, liebevollen und beschützenden Freundes an der Seite eines Kindes" aufgreift. Nicht ins staatssozialistische Leute-Schema passte hingegen die flippige und zu einem grandiosen Anarchismus neigende Pippi Langstrumpf, die die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren (1907-2002) erdachte. Wenn schon nicht verboten, so wurde das Buch doch lange nicht gedruckt, und als es erschien, kamen wenige Exemplare mit vielen Auslassungen in die Buchläden. Es erschien auch die Lausbubengeschichte "Die Abenteuer des Tom Sawyer" von Mark Twain (1835-1910). Tom ist Waise und lebt bei seiner Tante Polly, die mit ihm nicht nur Freude hat. Er ist Schulschwänzer, treibt sich herum und weicht keiner Prügelei aus. Auch wenn er dem jungen Leser trotzdem liebenswert erscheint, war er nie dafür geeignet, ins System der sozialistischen Kindererziehung eingeordnet zu werden. Ideologisch intensiv vermarktet wurde hingegen die in einem sowjetischen Dorf der 1940er Jahre angesiedelte Kinder-Geschichte "Timur und sein Trupp" des sowjetischen Jugendschriftstellers Arkadi Petrowitsch Gaidar (1904-1941). Das ebenfalls verfilmte Buch stellt Hilfsbereitschaft unter Kindern und Jugendlichen sowie Zusammenhalt und Freundschaft in den Vordergrund. Eine Gruppe unter ihrem 14-jährigen Anführer Timur Garajew hilft vor allem Angehörigen und Witwen von Frontsoldaten der Roten Armee. Nach seinem Erscheinen in der DDR lief die Propaganda an: Bald gab es die Timurhilfe der Pionierorganisation. Selbst in dem beliebten Kinderbuch "Alfons Zitterbacke" von Gerhard Holtz-Baumert (1927-1996) gibt es einen altruistischen Timurtrupp.

Die Streiche von Max und Moritz von Wilhelm Busch waren zwar wichtige Teile des herausgekommenen Busch-Albums, aber in den Medien spielten sie kaum eine Rolle. Außer in der Werbung: Anfang der 1960er Jahre machten sich Werbestrategen den zweiten Streich von Max und Moritz bei der Einführung des Goldbroilers zunutze. Bekanntlich klauten die Bengel der Witwe Bolte vier gebratene Hühner, die sie an einer Angel durch den Schornstein aufs Dach zogen. Obwohl der Schriftsteller Herbert Jobst (1915-1990) in seinem 1957 erschienen Jugendroman "Der Findling" ausdrücklich mahnt: "Ein Arbeiterjunge stiehlt nicht", ließen sich die Werbestrategen nicht davon abhalten, diesen Geflügeldiebstahl zu verklären. Und so hieß es in der Werbung: "Goldbroiler Hühnchen! Beste Sorte! Des Mopsens (d.h. des Klauens) wert? - Ganz ohne Worte! Doch warum mopsen! Lass Dir raten: Goldbroiler ist ein leckrer Braten, den neuerdings ein jedermann, bald überall erwerben kann!" Meister Nadelöhrs Umfeld war ein Hort des ausschließlich Guten. Das folgende nie stattgefundene Gespräch zwischen Herrn Fuchs und Frau Elster hätte dem Leben und Treiben im Märchenwald eine realistische Note gegeben:

Skandal im Märchenland: Frau Elster will rübermachen

Aschenputtel am Berliner Märchenbrunnen
Die Skulptur "Aschenputtel" am Berliner Märchenbrunnen - Foto: © -wn-

Fuchs: Kreuzspinne und Kreuzschnabel, Elsterchen, was habe ich von Herrn Uhu gehört? Sie wollen unseren schönen Märchenwald verlassen und in den gefährlichen Westbusch rübermachen, in dem so viele böse Tier hausen?

Elster: Ja, mein lieber Herr Fuchs, das haben Sie ganz richtig gehört: Und ich habe mir das auch gut überlegt. Ich werde in Kürze rüberfliegen, und zwar für immer. Was den Störchen erlaubt ist, muss auch uns Elstern möglich sein. Jedes Jahr fliegen diese Vögel ein und auch wieder aus. Und niemand stört sich daran.

Fuchs: Aber das sind doch Zugvögel; Sie sind ein Standvogel.

Elster: War, mein lieber Herr Fuchs, war. Als ehemaliger Standvogel fühlte ich mich außerdem hier immer mehr beobachtet.

Fuchs: Ach Elsterchen, das bilden Sie sich doch nur ein.

Elster: Und was macht dieser Herr Uhu den ganzen Tag? Tagaus tagein beäugt er mich und mein Nest. Das reicht mir jetzt. Er hat ja der Waldwacht auch zugetragen, dass ich Steine anhebe.

Fuchs: Beim Barte meines Großvaters - was ist denn daran schlimm?

Elster: Es ist verboten, die Steine umzudrehen. Aber unter ihnen liegen je gerade die besten Würmer. Meister Briefmarke brachte mir einen Brief vom Waldrat, in dem ich - denken Sie mal - deshalb abgemahnt werde. Aber wissen Sie, was daran das Schlimmste ist? Dieser saubere Meister Briefmarke kannte den Inhalt des Briefes schon, weil er ihn vorher gelesen hatte.

Fuchs: Meine liebste Freundin, haben Sie denn keine Angst, dass Sie im Westbusch Betrügern auf den Leim gehen, die sie nur abwerben wollen?

Elster: Das habe ich wohl geprüft. Mich erwartet ein eleganter Elstermann mit einem großzügig eingerichteten Nest, und zwar auf einem Privatbaum. Der Mann ist charmant, er wippt elegant mit dem Schwanz und hat wunderbare schwarze Augen. In seinem Nest verkehren nur vornehme Elstern und Raben. Zu mir sagt er immer so zärtlich, ich sei das süße Klärchen aus dem Osten. Ist das nicht bezaubernd? Und in dem Nest liegen allerhand blinkende Knöpfe, Ketten und Münzen aus vielen Länder. Wir wollen bald heiraten.

Fuchs: Elsterchen, haben Sie denn auch bedacht, dass die Spähadler den Waldrand streng bewachen?

Elster: Da machen Sie sich mal keine Sorgen! Mein Zukünftiger hat einen Schwarm Nebelkrähen geordert, der an die Grenze fliegen und die Adler ablenken wird. Mich erspähen die Adler nicht.

Fuchs: Da wird Meister Nadelöhr aber traurig sein.

Elster: Sagen Sie dem verehrten Herrn Nadelöhr, dass ich ihm, sobald ich mich eingelebt habe, eine echte Gitarre rüberschicke, damit er nicht mehr auf dieser albernen Holzleiste so tun muss als ob er auf ihr spielt.

Touristische Informationen zu Meister Nadelöhr

Das Grab des Schauspielers Eckhart Friedrichson (Meister Nadelöhr) befindet sich auf dem Evangelischen Friedhof in Berlin-Karow an der Straße Alt-Karow 13-14. Vom Alexanderplatz aus ist der Friedhof mit der U-Bahn U2 bis Pankow, von dort mit der S-Bahn S2 bis Bahnhof Karow und mit dem Bus 350 bis zur Station Alt-Karow zu erreichen. Der Fußweg ist kurz.

Der Abendgruß "Unser Sandmännchen" wird seit 1959 produziert und heute vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) weiter produziert. Er wird in den Vorabendprogrammen des RBB, des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und des Kinderkanals KiKA gesendet.

Der Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain ist eine Brunnen- und Gartenanlage an der Westspitze des Volksparks Friedrichshain. Die unter Denkmalschutz stehende Anlage wurde 1913 eröffnet. Der Entwurf für den Märchenbrunnen stammt von dem Architekten und langjährigen Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann (1852-1932). In den Wintermonaten sind die Skulpturen des Volksparks eingehaust.
Text: -wn- / Stand: 14.05.2022

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