Die antiautoritäre Erziehung - Kein Erziehungsstil, sondern ein Erziehungskonzept

Text: H. J. (Pädagogin und Erziehungswissenschaftlerin), Lesedauer: ca. 4 - 5 Minuten / Letzte Aktualisierung: 22.12.2022

antiautoritäre Erziehung von Kindern durch die Eltern
Bei einer antiautoritären Erziehung gibt es wenig bis keine festen Regeln - Foto: © Robert Kneschke - stock.adobe. com

Wenn heute von antiautoritärer Erziehung gesprochen wird, haben viele das Bild von Kindern vor Augen, die über Tische und Bänke gehen, sinnlos Geschirr zerschlagen und den Erwachsenen eine lange Nase zeigen. Das ist allerdings zu einfach gegriffen, denn bei der antiautoritären Erziehung handelt es sich nicht um ein einzelnes Erziehungskonzept, sondern um eine Erziehungsphilosophie, die durch bestimmte Ziele und Leitbilder geprägt wird. Die antiautoritäre Erziehung darf nicht mit einer Erziehung verwechselt werden, die durch Vernachlässigung geprägt ist, denn bei ihr steht das Wohl des Kindes im Vordergrund. Einige ihrer Standpunkte gelten heute als überholt, andere finden sich in modernen Erziehungsstilen, wie dem autoritativen und dem demokratischen wieder.

Was ist antiautoritäre Erziehung?

Vereinfacht gesagt, soll eine antiautoritäre Erziehung Heranwachsenden möglichst viel Freiraum einräumen, damit diese lernen, eigene Entscheidungen zu treffen und sich frei entfalten können. Ziele sind:

  • die Förderung des Gemeinsinnes und der sozialen Kompetenzen
  • das Erkennen der eigenen Kreativität
  • die Entwicklung des Selbstwertgefühls und des Selbstbewusstseins
  • die Förderung der Eigenverantwortlichkeit

Bei der antiautoritären Erziehung soll der Erziehende bewusst auf das Aufstellen fester Regeln verzichten.
Er ist stattdessen angehalten, Vorschläge oder Alternative unterbreiten. Das Setzen von Grenzen ist möglich, sofern der Handelsspielraum des Kindes nicht zu stark eingeschränkt und die Selbstverwirklichung behindert werden. Kinder müssen Verantwortung für ihre Handlungen tragen und notfalls auch die Verantwortung für die Folgen übernehmen. Während beispielsweise autoritäre Eltern bestimmen, wann es Zeit zum Schlafengehen ist, dürfen dies antiautoritär erzogene Kinder selbst entscheiden. Sie müssen dann auch selbst mit den Auswirkungen klarkommen, wie Müdigkeit im Kindergarten oder in der Schule.

Der Umgang mit den Kindern ist bei einer antiautoritären Erziehung freundschaftlich und respektvoll. Eine Verfechterin der antiautoritären Erziehung war übrigens Astrid Lindgren, die Schöpferin der Pippi Langstrumpf, die es bis heute in die Herzen von Kindern und Erwachsenen schafft. In einer Rede, die Lindgren im Jahr 1978 anlässlich ihrer Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hielt, forderte sie eine antiautoritäre Erziehung ohne Gewalt, ganz so wie es in den Pippi-Büchern vorgelebt wird.

Die Entstehung einer antiautoritären Erziehungsphilosophie

Nachdem im Dezember 1969 der Dokumentarfilm "Erziehung zum Ungehorsam" des Journalisten Gerhard Bott über die Mattscheiben in den deutschen Wohnzimmern geflimmert war, soll es zu großer Empörung und starken Auseinandersetzungen gekommen sein. Bott geht in seinem Film der Entstehung der antiautoritären Kinderladenbewegung nach und zeigt den ungeregelten Alltag in einem Kinderladen, der in starkem Gegensatz zum Ablauf in einem traditionell und autoritär geführten Kindergarten steht. Um die Idee der antiautoritären Erziehung heute zu verstehen, ist es notwendig, den Kontext anzuschauen, aus dem diese entstand.

Antiautoritärer Erziehungsstil in einer Familie mit 2 Kindern
Bei einer antiautoritären Erziehung haben Kinder viele Freiräume. - Foto: © Robert Kneschke - stock.adobe. com

Als gewünschter Gegensatz zur autoritären Erziehung entwickelten sich antiautoritäre Erziehungsformen vor allem im Verlauf der 1968er Studentenbewegung. Noch vor Augen, was Obrigkeitshörigkeit und unbedingte Unterwerfung im Hitler-Deutschland aus Menschen machen konnte und angewidert von der Scheinmoral im Wirtschaftswunderland der 1950er Jahre, erträumten sich viele junge Menschen für ihre eigenen Kinder ein Leben, das von Eigenverantwortung, einem gesunden Selbstbewusstsein und hohem Selbstwertgefühl geprägt sein sollte. Vor allem in Wohngemeinschaften und in alternativen Kindereinrichtungen wurde eine antiautoritäre Erziehung gepflegt.

Auswirkungen einer antiautoritären Erziehung

Kinder antiautoritär zu erziehen heißt nicht, dass sie keinerlei Regeln einhalten müssen. Eltern oder Erzieher, die unter antiautoritär eine Erziehung ohne das Setzen von Grenzen verstehen, müssen damit rechnen, sich kleine Egoisten heranzuziehen. Diese sind unter Umständen nicht in der Lage, sich auf andere Menschen einzustellen und ihre Emotionen zu beherrschen. Mädchen und Jungs, die sich hingegen unter Anleitung frei entfalten können, sollen im späteren Leben erfolgreicher und autark sein. Im Unterschied zu autoritär erzogenen Menschen, sind antiautoritär erzogene als Erwachsene in der Regel aufgeschlossener und teamfähiger. Gerhard Bott hat im Jahr 1982 mehrere Kinder aus seinem 1969 gezeigten Film nochmals aufgesucht. In "Die müssen doch irgendetwas an sich haben: antiautoritäre Erziehung und ihre Folgen" zeigte er, was aus ihnen geworden ist. Wie sie sich bis heute entwickelt haben, ist aber leider nicht bekannt.

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